Herr Ferber, man liest derzeit viel von wilder Spekulation, Hedgefonds und Leerverkäufen. Können Sie uns in einfachen Worten erklären, was hier passiert?
Ein Leerverkauf ist vereinfacht gesagt, eine Handelsstrategie, mit der man von einem fallenden Aktienkurs eines Unternehmens profitiert. Diese Strategie ist aber mit einigem Risiko verbunden, denn wenn der Kurs steigt statt fällt, kann man sehr schnell sehr hohe Verluste einfahren. Einige US-amerikanische Hedgefonds haben Firmen identifiziert, bei denen es berechtigte Zweifel an der langfristigen Tragfähigkeit des Geschäftsmodells gibt, zum Beispiel die Kinokette AMC oder GameStop, ein Händler für Videospiele. Für diese Unternehmen haben die Hedgefonds dann sehr große Leerverkaufspositionen aufgebaut, sind also eine große Wette auf fallende Kurse eingegangen. Eine Gruppe von Kleinanlegern, die sich in Onlineforen zusammengeschlossen hat, hat sich entschlossen, die gegenteilige Position einzunehmen und den Kurs dieser Unternehmen hochzutreiben. Das hat bisher außerordentlich gut funktioniert.
Wie können es einige Kleinanleger mit finanzstarken Hedgefonds aufnehmen?
Zum einen handelt es sich um Unternehmen mit einer vergleichsweise geringen Marktkapitalisierung. Das heißt, dass auch viele Kleinanleger zusammen eher den Preis bewegen können. Zum anderen haben diese Kleinanleger oft mit Optionen gehandelt, die zunächst einen geringeren Kapitaleinsatz erfordern. Ab einem gewissen Zeitpunkt gibt es dann einen sich selbst verstärkenden Effekt: Wenn die Wette der Hedgefonds auf fallende Kurse schief geht und der Kurs stattdessen steigt, wird die Leerverkaufsposition schnell richtig teuer. Um da rauszukommen und die Leerverkaufsposition zu schließen mussten die Hedgefonds selbst die Aktien des Unternehmens kaufen und haben damit selbst die Kurse weiter hochgetrieben. Einige große US-amerikanische Hedgefonds haben deswegen beachtliche Verluste eingefahren. Die Kleinanleger haben hier die Wall Street mit ihren eigenen Waffen geschlagen. Das ist eine richtige David gegen Goliath-Geschichte.
Leerverkäufe und Optionenhandel. Das klingt alles sehr spekulativ. Sollten solche wilden Spekulationen nicht besser verboten werden?
Leerverkäufe sind nicht per se schlecht. In gut funktionierenden Märkten können sie ein wichtiges Korrektiv gegen Übertreibungen sein. Die derzeitige Situation zeigt aber auch, dass diese Handelsstrategie mit großem Risiko verbunden ist. Was den Optionenhandel von Kleinanlegern angeht, habe ich kein Problem, solange die Leute wissen, was sie tun, welches Risiko sie eingehen und dabei nicht Haus und Hof verwetten. Wenn man normalerweise zur Anlageberatung in die Bank geht, gibt es eine Reihe von Verbraucherschutzvorschriften, die der Bankberater beachten muss und die sicherstellen, dass der Kunde nur Produkte angeboten bekommt, die seinem Risikoprofil entsprechen. Bei viele der neuen Trading Applikationen für das Smartphone gibt es so ein Sicherheitsnetz aber nicht. Wenn aber für einen unerfahrenen Kleinanleger nur ein paar Klicks zwischen dem Lesen eines heißen Investmenttipps und dem Verwetten der Lebensersparnisse bei einer Trading App liegen, ist es vielleicht etwas zu einfach.
Entstehen nicht Risiken für das Finanzsystem, wenn große Fondsgesellschaften plötzlich Milliardenverluste anhäufen?
Wenn ein Hedgefonds eine riskante Wette eingeht und die schiefgeht, ist das erstmal das Problem des Hedgefonds und seiner Investoren. Immerhin gilt auch hier, dass die Aussicht auf große Renditen in der Regel mit großen Risiken einhergeht. Auf der anderen Seite, haben wir in der Vergangenheit gesehen, dass die Pleite eines großen Hedgefonds auch zu Verwerfungen im Finanzsystem führen kann. Bestes Beispiel dafür ist Fondsgesellschaft Long-Term Capital Management (LTCM) in den späten 1990ern. Das kann zum Beispiel passieren, weil andere Banken und Wertpapierfirmen an dem kriselnden Fonds beteiligt sind oder weil dieser in großem Stil andere Wertpapiere verkaufen muss, um Verluste auszugleichen. Es besteht also durchaus das Risiko eines Dominoeffekts. Deshalb müssen wir jetzt noch einmal sehr genau schauen, ob Hedgefonds, die solche riskanten Wetten eingehen auch ausreichend kapitalisiert sind.
Wenn sich Anleger dazu verabreden künstlich den Preis einer Aktie in die Höhe zu treiben, handelt es sich dann dabei nicht um illegale Marktmanipulation?
Auf den ersten Blick haben die Ereignisse durchaus Merkmale eines so genannten „Pump and Dump“-Betrugs, bei dem jemand den Preis eines Wertpapiers, meist mit Gerüchten und gezielten Falschinformationen, künstlich in die Höhe treibt und dann überteuert verkauft. Auf der anderen Seite haben wir zwar ein Element der Kollaboration, aber nicht der Täuschung und des Betrugs. Schließlich konnte jeder in den einschlägigen Onlineforen und später in der Zeitung nachlesen, warum die Kurse dieser Wertpapiere so exorbitant gestiegen sind. Nichtsdestoweniger wäre es unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit sicherlich nicht verkehrt, wenn die Finanzaufsicht präzise abgrenzt, wo genau die Grenze zwischen dem Austauschen von Investmenttipps und Marktmanipulation verläuft. Das darf aber am Ende nicht dazu führen, dass nun die BaFin lauter Kleinanleger jagt, die in Onlineforen Anlagetipps austauschen. Die Finanzaufsicht hat sicherlich besseres zu tun.